10
Okt
2004

Ameisenstraße

Als wir an einem heißen, langweiligen Ferientag die Ameisenstraße entdeckten waren schon zwei Projekte im Bereich der Insektenkunde gescheitert.

Zum einen gab es da den Fliegenfriedhof, den wir liebevoll im Vorgarten, gleich neben dem Gullideckel der Güllegrube angelegt hatten. Das Vorhaben wurde letztendlich wegen wenig ausgeprägten Individualität der Verstorbenen aufgegeben, so daß sich nach einiger Zeit der Fliegenfriedhof vom gut gepflegten Totenacker mit ständig erneuerten Blumenbuckets vor den Grabkieseln zu einer verlassenen Ödnis mit vergessenen, unkrautüberwucherten Gräbern verwandelte.

Auch die Käferfarm hatten wir zügig liquidieren müssen. Wir hatten zwar in einer Apfelsinenkiste durch Aussat von Kressesamen ein kleines Biotop angelegt, das durch ein winziges Fellstückchen aus Mutters Näh-Restekiste bereichert worden war. (Gemäß Kosmos-Käferführer hatten einige interessante Spezies die Angewohnheit, sich in den Resten tierischer Haarprodukte anzusiedeln). Die Sache scheiterte aber dann an der Suche nach geeigneten Insassen. Die beiden in der Käferfarm inhaftierten Marienkäfer verhungerten binnen weniger Tage, da offenbar keinelei Blattläuse bereit waren, ihre Tätigkeit innerhalb der Farm aufzunehmen.

Als uns daher das lebendige schwarze Band aus Ameisenleibern auffiel, das aus einer Ritze der Gartentreppe quoll, um zwei Stufen höher wieder im Untergrund zu verschwinden, waren wir sofort interessiert. Xani meinte " wir baden die jetzt mal, da freuen die sich". Obwohl für die Ameisen das Bad in der wassergefüllten Quarkschachtel extrem anstrengend schien, waren wir doch der Auffassung, daß wir damit einen wesentlichen Beitrag zur Gesundheitspflege der Tiere beitrugen. Nach dem Bad schienen die Ameisen etwas schlapp, schlossen sich jedoch innerhalb weniger MInuten wieder ihrer Straße an, um weiterhin ihrer Lebensaufgabe nachzukommen.

In den nächsten Tagen experimentierten wir mit verschiedenen Badezusätzen, wobei sich der Saft der Zaunwinde als besonders wirkungsvoll herausstellt. Wir quetschten das dickliche weiße Sekret direkt in das Badewasser, wo sich an der Oberfläche ölige Schlieren bildeten. Auf unsere Probanden hatte diese Suspension eine extrem narkotosierende Wirkung, so daß wir kleine Aufwach- und Pflegeräume in den Blüten von Löwenmäulchen oder Digitalis anlegen mußten.

Wir waren der Auffassung, daß wir eine äußerst nutzbringende Dienstleistung an den Ameisen erbrachten, wobei uns vielleicht zugute zu halten ist, daß wir, meine Zwillingsschwester und ich, 6 Jahre alt waren.

Eines Morgens zog sich statt der schwarzen Ameisenstraße ein Band aus gelblichem Pulver an der Treppe hoch.

Vater hatte DDT gestreut.

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